Digitale Inklusion & Gleichstellung

Die Titelfolien zeigt auf der rechten Hälfte ein Foto von Phu. sie schaut zur Seite und grinst, während sie sich mit der Hand durch die Haare fährt. Das bild ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Auf der linken Seite ist ein beiger Hintergrund auf dem Steht “Leichte Sprache, große Wirkung: Wie Usability und Sprache harmonieren.” Im Footer steht das Wort “sprache” und “barrierefrei”

Leichte Sprache, große Wirkung: Wie Usability, Accessibilty und Sprache harmonieren

Die Titelfolien zeigt auf der rechten Hälfte ein Foto von Phu. sie schaut zur Seite und grinst, während sie sich mit der Hand durch die Haare fährt. Das bild ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Auf der linken Seite ist ein beiger Hintergrund auf dem Steht “Leichte Sprache, große Wirkung: Wie Usability und Sprache harmonieren”. Im Footer steht das Wort “sprache” und “barrierefrei”.

Mit Usability die Welt verbessern? Ambitioniert, aber es geht! Und zwar richtig gut. Insbesondere das ab Juni 2025 rechtskräftige Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) bietet die Chance, Usability, Accessibility und Linguistik sinnvoll zu verknüpfen. Werden auf der Website oder in der App Barrierefreiheitsstandards erfüllt, kann gute User Experience nicht nur reguläre User besser führen, sondern auch ganz neue Zielgruppen erschließen und Zugänge ermöglichen.

Im vorliegenden Blogbeitrag thematisieren wir, wie Usability und Leichte Sprache digitale Zugänge erschaffen können. Durch vergangene Projekte und Erfahrungen sind wir überzeugt: Die Kombination aus einfacher Bedienbarkeit und Sprache fördert Selbstbestimmung und erweitert die Zielgruppe. Während Usability hilft, digitale Produkte benutzerfreundlicher zu gestalten, ist Leichte Sprache eine standardisierte Form von besonders verständlicher Sprache.

Barrierefreiheit: in digital, indiskutabel und im Alter

Digitale Barrierefreiheit ist nicht nur gesetzlich verankert (BITV, WCAG, BGG), sondern auch ethisch unabdingbar. Barrierefreie Webseiten und Apps ermöglichen Zugänglichkeit und Navigation für ältere, benachteiligte und behinderte Menschen. Obwohl das Gesetz keine direkte Verbindung von Barrierefreiheit und Nutzerzentrierung fordert, ist es sinnvoll, beides zu kombinieren. Gute Websites sind ansprechend gestaltet, funktional und führen Nutzende effizient ans Ziel. Usability und Leichte Sprache passen gut zusammen, da sie die Bedürfnisse der Zielgruppe erkennen und in ein schlüssiges Konzept integrieren. UX-Writing mit klaren Anweisungen, einfachen Menüs und visueller Unterstützung verbessert die Nutzbarkeit deutlich.  Während gute Usability uns alle erfreut, ist es für einige Bedürfnisse zentral, um sich zurechtzufinden.

Was ist der Unterschied zwischen UX- und Copywriting? Denn Text ist nicht gleich Text.

Texte, also die schriftliche Form von Sprache, sind für digitale Produkte. Dort, wo Menschen für direkte Dialoge fehlen, übernimmt die Schriftsprache. Zu unterscheiden ist zwischen UX-Writing und Copywriting. Beide sind wichtig für den Inhalt, doch sie verfolgen verschiedene Ziele und Prinzipien. Während UX-Writing eher bedürfnis- und nutzerorientiert ist, werden Copies zu Verkaufs- und Marketingzwecken verfasst und verfügen über ein eigenes Storytelling. Keines ersetzt das andere und im Optimalfall ergänzen sich beide. 

Wird also von Texten und UX gesprochen, handelt es sich meist um Wörter und Sätze, die Buttons oder weitere Funktionen auf dem User Interface ergänzen. Auch Hilfetexte, Gebrauchsanweisungen und Hinweise unterliegen den Prinzipien von UX-Writing. Durch Farben, Typographie und Architektur entsteht ein Setting, das User anspricht und führt. Auch Möglichkeiten der Anpassung an individuelle Bedürfnisse sind zentral für die Zugänglichkeit. So ist es für viele Menschen spätestens im fortgeschrittenen Alter wichtig, dass Texte vergrößert werden können oder Alternativtexte für Bilder und Grafiken stets inbegriffen sind, um sehbehinderte Menschen nicht auszuschließen. Texte in Leichter Sprache sind kein Ersatz für Fachsprache und nicht rechtsgültig, jedoch in Bezug auf Selbstbestimmung zentral. Denn nur Menschen, die über genügend Informationen verfügen und verstehen, können aktiv Entscheidungen fällen. Leichte Sprache kommt der Barrierefreiheit zugute und entspricht somit dem § 9 der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte haben sollen wie Menschen ohne Behinderung.

Barrierefreie Inhalte vs. Deutsche Sprache, Grammatik und Syntax

Generell geht es bei Leichter Sprache darum, dass sich Menschen jederzeit orientieren und Informationen verarbeiten können. Schachtelsätze, komplexe grammatische Strukturen wie Verbkonstruktionen oder Passivkonstruktionen bestehen aus mehreren, auseinander liegenden Elementen und sind schwer verständlich.

Demgegenüber ist die deutsche Sprache prädestiniert für Schachtelsätze und komplexe Syntax. Auch Mark Twain bemerkte schon im 19. Jh die Komplexität deutscher Grammatik:

Wenn beispielsweise aufgrund komplexer Satzstrukturen die Augen mehrmals Subjekt, Objekt und Prädikat identifizieren oder Reader sich wiederholen müssen, sind Informationen nicht barrierefrei zugänglich.

Als Beispiel für die Komplexität der deutschen Sprache dient der soeben gelesene Satz. Er fängt mit einem Nebensatz an und das “Hauptverb” ist erst an 19. Stelle zu finden. Der Satz geht über drei Zeilen, verwendet ein Verb elliptisch (d. h.: mehrere Subjekte teilen sich ein Verb: “die Augen” und “Reader” teilen sich “müssen”). 

Es werden inhaltlich mehrere Perspektiven, Bedingungen und Herausforderungen erläutert und resümiert. Das Beispiel zeigt, wie hoch die Informationsdichte innerhalb eines Satzes sein kann und welche sprachlichen Verhältnisse vorliegen. In juristischen oder wissenschaftlichen Bereichen ist obige Satzstellung eher Norm als Seltenheit. Zwar ist es sinnvoll und notwendig, möglichst präzise Formulierungen zu verwenden, doch die Rechnung ist simpel: Je höher die Informationsdichte und beschreibender das Wording, desto komplizierter die Verarbeitung des Inhalts. 

Es gilt demnach, immer abzuwägen und sich zu fragen: Wer ist meine Zielgruppe und was ist  Ziel und Kontext? Geht es vorrangig um Orientierung und Verständnis, ist Leichte Sprache gegenüber adäquatem Ausdruck zu bevorzugen.

Wie funktioniert Leichte Sprache?

Websites, die Inhalte und Texte zusätzlich in Leichter Sprache anbieten, öffnen sich für ein breiteres Publikum. So finden sich beispielsweise auch Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Migrationserfahrung zurecht. Um Sprache zu vereinfachen, sollten alle Inhalte vor der Veröffentlichung getestet werden und sich mindestens an den Dos und Dont’s der Leichten Sprache orientieren:

Leichte Sprache: Dos

  • Kurze Sätze mit möglichst je einem Subjekt, Prädikat, Objekt
  • Konsistenz im Wording
  • Einfache Wörter und Satzstrukturen 
  • Visuelle Unterstützung durch Bilder und Icons. Informationsvermittlung über die Textebene hinaus
  • Konsistenz und einheitliches Wording, denn jeder neue Begriff muss kognitiv verarbeitet werden
  • Zwischenergebnisse und fertiges Produkt von Expert*innen testlesen lassen
  • Aktives statt passives Wording: kürzere und direktere Sätze vereinfachen die Verarbeitung

Schwere Sprache: Don’ts!

  • Verschiedene Begrifflichkeiten für gleiche Funktionen, konsistentes Wording ist zentral
  • Fachbegriffe und Abkürzungen wie “usw.” und “Abk.”
  • Textblock ohne Absätze und Zwischenüberschriften, die Info-Entnahme vereinfachen
  • Lange Substantivierungen wie „Behördensensibilisierungsmaßnahmen“ 
  • Verneinungen, vor allem doppelte: “Ich bin nicht unglücklich”
  • Verbkonstruktionen wie: Die Menschen setzen sich zur Wehr. Besser: Sie wehrten sich.

Werden die Regeln auf das vorige Beispiel angewendet, ändert sich vorheriger Satz zu:

Schwere Sätze müssen wir oft lesen. So verstehen wir, wer was macht. Manche brauchen ein Vorleseprogramm. Kurze Sätze verstehen alle besser.

Next Level: Tools und Tests für digitale Barrierefreiheit

Auch, wenn digitale Barrierefreiheit bereits in der Konzeptionsphase berücksichtigt wird, sind durchgehende Tests entscheidend, um Standards sowie Funktionen und Usability zu optimieren. Hilfreiche Tools unterstützen den gesamten Prozess von der Konzeption bis zum Launch und stellen so barrierearme digitale Produkte sicher. 

Zwar wird BarriereFREIHEIT angestrebt, doch näher an Praxis und Realität ist der Begriff “barrierearm”. So wird vollständige Barrierefreiheit nur erreicht, wenn alle festgelegten Barrierefreiheits-Standards nach der europäischen Norm EN 301 549 erfüllt sind. Regelmäßige Usability-Tests, die Inhalte auf Verständlichkeit, Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit überprüfen, sind entscheidend, um eine inklusive digitale Landschaft zu schaffen.

BIK BITV-Test: Mit den Tests werden Webanwendungen auf die europäischen Norm EN 301 549 überprüft. Hinzu kommen Kriterien für WCAG-Konformitätsstufen. So lassen sich Stand der Barrierefreiheit und Maßnahmen identifizieren, die als nächstes ergriffen werden sollen.

Accessibility Checkliste: von a11yproject

Language Tool: KI-basierte Prüfung von Textinhalten auf Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion. Zusätzlich können Beispieltexte eingefügt und in einfache Sprache transformiert werden. 

TextLab: Software der Universität Hohenheim, das Inhalte auf Verständlichkeit, Komplexität, Anglizismen etc. überprüft. Sie unterstützt beim Verfassen verständlicher Sprache und orientiert sich an den Indikatoren für Lesbarkeit, dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX).

Digitale Teilhabe für alle – mit Leichter Sprache und optimierter Usability

Leichte Sprache kann die Verständlichkeit von digitalen Inhalten erheblich verbessern. Websites, Apps und digitale Dienstleistungen, die in Leichter Sprache bereitgestellt werden, sind zugänglicher für Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten. Dies schließt nicht nur behinderte Menschen ein, sondern auch ältere Menschen und Personen mit Migrationserfahrung und unterschiedlichen Bildungsniveaus. Von intuitiver Nutzerführung und Usability-Optimierung profitieren alle Menschen. 

Obwohl Barrierefreiheit bereits in der Konzeptionsphase berücksichtigt wird, sind kontinuierliche Tests unerlässlich, um Standards, Funktionen, Videoanpassungen und die allgemeine Bedienbarkeit zu optimieren. Hilfreiche Tools begleiten den Prozess von der Planung bis zum Launch und gewährleisten barrierearme digitale Produkte. Während „Barrierefreiheit“ das Ziel ist, entspricht der Begriff „barrierearm“ eher der Realität. Die europäische Norm EN 301 549 strebt dennoch vollständige Barrierefreiheit an. Tests zur Überprüfung von Sprache, Verständlichkeit, Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit spielen hierbei eine zentrale Rolle.

Sowohl Unternehmen als auch Organisationen können durch die Umsetzung des BFSG ihre Reputation stärken und sich als verantwortungsvoll und offen positionieren. Werden zudem die Prinzipien nutzerzentrierter Usability auf Website und mobile App angewendet, sind digitale Produkte benutzerfreundlich und gleichzeitig ein Instrument zur Gewinnung neuer Kundschaft und deren Loyalität.

Wir schreiben nicht nicht Fachbeiträge. Wir geben unser Wissen auch in Schulungen und Workshops weiter. Statt Wissensilos zu konservieren, spreaden wir unsere Expertise, denn wir sind der Meinung: Gutes ist gut, wenn man es teilen kann.

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Erschienen im SQ Magazin, Netzwerk und Expertise für Software

Die erweiterte Version des Beitrags ist übrigens in der aktuellen Ausgabe des SQ-Magazins veröffentlicht. Das Fachmagzin entstammt dem Expertennetzwerk ASQF und behandelt Themen rund um IT, Software und nutzerfreundliche Gestaltungsmöglichkeiten. Abonniert gerne das Magazin, um auf dem Laufenden zu bleiben. Es wird sicherlich nicht unser letzter Beitrag dort sein.