Im Bundestag wurde im vergangenen November das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) verabschiedet, das ab 2025 in Kraft tritt. Diese Neuregelung wird das alte Transsexuellengesetz von 1981 ablösen und bringt tiefgreifende und längst überfällige Verbesserungen für trans-, inter- und nicht-binäre Menschen in Deutschland. Kern des Gesetzes ist die Möglichkeit, den eigenen Geschlechtseintrag und Vornamen künftig durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen – ohne aufwändige medizinische Gutachten oder langwierige Gerichtsverfahren. Mit dem SBGG erhalten Menschen mehr Selbstbestimmung, also mehr Kontrolle und Würde im Umgang mit ihrer eigenen Identität.
Die Bedeutung eines neuen Gesetzes – was ändert sich?
Das sog. Transsexuellengesetz war bei Einführung ein wichtiger Fortschritt, ist jedoch seit Jahrzehnten überholt und verfassungsrechtlich umstritten. Bislang waren medizinische und psychologische Gutachten verpflichtend, um Änderungen des Geschlechtseintrags oder des Namens durchzuführen – eine Belastung, die viele Betroffene als entwürdigend und diskriminierend empfanden. So wurden zur Legitimation der “Glaubwürdigkeit” intime Fragen gestellt, die die wenigsten gegenüber Fremden gern beantworten, nämlich häufig in Bezug auf sexuelle Vorlieben und Masturbation. Dies kann sich aufgrund ungleicher Machtverhältnisse und -verteilung im sogenannten Gatekeeping äußern. Hier liegt die Entscheidungsgewalt bei Personen, die erst von der Ernsthaftigkeit und dem genügendem Maß an genderstereotypischen Beweisen überzeugt werden (wollen und) müssen, bevor es überhaupt zu einer Änderung kommt. Das heißt, zusätzlich zum entwürdigenden Prozedere ist die betroffene Person abhängig von Fremdbestimmung und dem Wohlwollen der begutachtenden Instanz Zudem trugen die langen und ermüdenden Verfahren zur psychischen Belastung bei, was nicht selten zu gesundheitlichen Nachteilen führte. Mit dem SBGG werden diese Hürden abgeschafft und die Verantwortung in die Hände der Betroffenen gelegt.
Verfassungsrechtlicher Kontext und Menschenrechte
Die Reform wurde auch von Gerichtsentscheidungen vorangetrieben: Mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betonten, dass das vorherige Gesetz gegen das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung verstößt. Das Bundesverfassungsgericht betont das Recht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), den es auch verfassungsrechtlich zu schützen gilt. Nun ermöglicht das SBGG eine Änderung, die näher an Zeitgeist und dem gesellschaftlichen Verständnis von geschlechtlicher Vielfalt ist. Es signalisiert die staatliche Anerkennung, dass geschlechtliche Identität ein unveräußerliches und individuelles Merkmal eines Menschen ist, das nicht durch Dritte bewertet werden sollte.
Wir sind noch lange nicht am Ziel: Kritikpunkte am SBGG
Während das SBGG zweifellos ein Fortschritt in Richtung geschlechtlicher Selbstbestimmung ist, zeigt sich aus Sicht der Betroffenen, dass strukturelle Diskriminierung und Einschränkungen weiterhin bestehen. Für viele bleibt das Gefühl, dass das Gesetz zwar einige Hürden abbaut, aber ihnen noch immer nicht die vollständige Gleichstellung und Anerkennung ihrer Identität ermöglicht. Denn das SBGG ist kein rechtbringendes Allheilmittel– vor allem unter der intersektionalen Lupe kommen diskriminierende Facetten des Gesetzes zum Vorschein.
Was ist mit Kindern und Jugendlichen?
Das Selbstbestimmungsgesetz enthält spezifische Regelungen, die unterschiedliche Personengruppen betreffen. Minderjährige unter 14 Jahren etwa brauchen für die Beantragung und Änderung die Hilfe zuständiger Erziehungsberechtigte. Jugendliche ab 14 Jahren können diese Änderung selbst vornehmen, benötigen aber die Zustimmung ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten. In Fällen, in denen diese Zustimmung verweigert wird, kann ein Familiengericht eingeschaltet werden, um im Sinne des Kindes zu entscheiden. Ein Prozess, der unseres erachtens nach für Jugendliche zusätzliche Belastungen und Wartezeiten bedeutet und sie von der Unterstützung durch Gerichte und Behörden abhängig macht, statt ihre Selbstbestimmung vollständig zu respektieren.
Zudem gibt es weiterhin keine klaren Regelungen für spezifische Schutzräume und die Bedarfe von Transjugendlichen und -kindern sind nicht vollständig berücksichtigt. Einige befürchten auch, dass die Möglichkeit, das Geschlecht ohne medizinische Gutachten ändern zu lassen, zu Konflikten in bestimmten Bereichen wie etwa dem Sport führen könnte. Die kritischen Stimmen fordern, dass das Gesetz durch begleitende Maßnahmen ergänzt werden sollte, um sowohl Betroffenen Schutz zu bieten als auch Missbrauchsmöglichkeiten auszuschließen.
Wie sieht es mit der Gesundheitsversorgung und Zugang zu Transitionen aus?
Zwar erleichtert das SBGG die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag, jedoch bleibt der Zugang zu medizinischer Versorgung, wie Hormontherapien oder geschlechtsangleichenden Operationen, weiterhin schwer zugänglich und oft an aufwendige Begutachtungsverfahren gekoppelt. Viele Betroffene empfinden dies als bevormundend und entwürdigend, da es ihnen die Autonomie über den eigenen Körper verwehrt. Die psychische und finanzielle Belastung durch diese Einschränkungen bleibt daher auch nach Einführung des SBGG bestehen.
Was ist mit Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft?
Zudem gilt das SBGG nur für Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder für Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben. Für internationale Staatsangehörige oder staatenlose Personen in Deutschland bleibt jedoch die Gesetzeslage ihres Herkunftslandes entscheidend, was für trans und nicht-binäre Menschen aus Ländern mit restriktiveren Gesetzen zusätzliche Hürden bedeutet. Konkret heißt das, dass Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft möglicherweise keinen Zugang zu den Rechten und Prozessen haben, die das SBGG bietet, selbst wenn sie in Deutschland leben. Dies betrifft insbesondere Menschen, die beispielsweise wegen ihrer geschlechtlichen Identität Asyl suchen oder aus Ländern kommen, in denen die Geschlechtsidentität nicht rechtlich anerkannt wird oder sie genau aufgrund dessen politisch verfolgt werden. Das Fehlen einer umfassenden Regelung für internationale Betroffene führt also zu einer Art „Recht auf Selbstbestimmung“ nur für jene, die die deutsche Staatsbürgerschaft oder einen besonderen Aufenthaltsstatus haben und fördert so die intersektionale Diskrimierung.
Manche Gruppen befürchten außerdem, dass das SBGG zu vermehrtem Missbrauch führen könnte, beispielsweise durch das Aufsuchen von Schutzräumen unter falschen Angaben oder unüberlegte Änderungen des Geschlechtseintrags. Solche Befürchtungen basieren jedoch häufig auf Vorurteilen und Stigmatisierungen gegenüber trans und nicht-binären Menschen. Diese Vorwürfe führen oft zu zusätzlicher Diskriminierung und Misstrauen gegenüber den Betroffenen, statt ihnen dieselbe Vertrauensbasis wie cis-Personen zu bieten. Dass solche Vorurteile überhaupt im Zusammenhang mit einem Gesetz für geschlechtliche Selbstbestimmung aufkommen, zeigt den anhaltenden gesellschaftlichen Bedarf an Aufklärung und Akzeptanzförderung.
Auch wenn wir uns über das Gesetz freuen und das SBGG zweifellos ein Fortschritt in Richtung geschlechtlicher Selbstbestimmung ist, zeigt sich aus Sicht der Betroffenen, dass strukturelle Diskriminierung und Einschränkungen weiterhin bestehen. Für viele bleibt das Gefühl, dass das Gesetz zwar einige Hürden abbaut, aber ihnen noch immer nicht die vollständige Gleichstellung und Anerkennung ihrer Identität ermöglicht.
Wenn dir dieses Thema oder ähnliche DEIB Themen wichtig sind und diese Mehr Raum in deinem Unternehmen oder sogar in der digitalen Struktur deines Unternehmens bekommen sollten, schreib uns gerne an. Wir setzen digitale Inklusion und Gleichstellung um.